But What If I fly?
"Kennst du dieses Gefühl, wenn man richtig lange auf etwas hinarbeitet und es klappt einfach? Das ist mir noch nie passiert.", sage ich lachend und mein Gegenüber stimmt mit ein. "Bis jetzt."
So habe ich in letzter Zeit viele Gespräche begonnen, wenn ich auf meinen Umzug nach New York angesprochen wurde. Träume sind etwas Sonderbares. Ich persönlich habe seit ich denken kann immer groß geträumt, aber dass Träume wahr werden - dieser Teil blieb bis jetzt aus. Das klingt deprimierender als es ist - ich hatte auf jeden Fall das Glück mir hin und wieder einen kleinen Traum zu erfüllen oder erfüllt zu bekommen. Tolle Freunde, schöne Reisen, ein guter Job. Dabei handelte es sich aber weniger um Dinge, auf die ich aktiv hingearbeitet habe sondern mehr um etwas, das mich gefunden hat ohne dass ich mich aktiv danach sehnte.
Damit Träume wahr werden muss man aktiv träumen, aber aktives Träumen ist ein Risiko. Man weiß nicht ob es so endet, wie man es sich vorstellt. Man weiß nicht, ob man genug Kraft hat, da wo man ist, die offenen Türen offen zu halten und hindurch zu gehen. Manchmal fällt die Tür wieder zu und das ist okay. Aber einen Traum wahr werden zu sehen wäre trotzdem schön. Was gibt es Besseres, als das Realität werden zu lassen wonach man sich sehnt? Jeden Tag aufzustehen und sich zu denken: Genau hier will ich sein!
Auch wenn ein paar meiner Traumtüren in den letzten Jahren zugefallen sind, hat das aktive Träumen Gott sei Dank nie aufgehört. Trotzdem war da jedoch diese Überzeugung, dass ich meinen Träumen zwar nahe kommen kann, es mir aber verwehrt bleibt sie zu ergreifen.
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Im November 2022 bin ich zusammen mit meinem Papa das erste Mal durch die Straßen von New York spaziert. Damals war ich kurz davor das zweite Jahr meines Bachelorstudiums in Physik abzuschließen. Während ich so durch Manhattan spazierte, fiel mir eine NYU Flagge ins Auge, die sich an einem der großen, schönen, eher barocken Gebäude leicht im Winterwind hin und her bewegte. Still bei mir dachte ich: "Hier zu studieren, das stelle ich mir cool vor.".
Ein paar Monate zogen ins Land und im März 2023 sah ich einen Stellenausschreibung für eine HiWi-Stelle in dem Hamburger Standort einer Forschungsgruppe, welche von einem Professor an der Columbia University in New York geleitet wurde. Nachdem ich die Gruppenwebseite ein wenig durchgeschaut hatte, wusste ich außerdem, dass der Forschungsbereich genau der ist, für den ich mich ein paar Monate zuvor angefangen hatte zu begeistern. Ich habe lange überlegt, ob ich meine Bewerbung einreichen soll, da ich bis dahin noch keinerlei Laborerfahrung gesammelt hatte, dachte dass meine Chancen im Vergleich wahrscheinlich eh nicht gut stehen würden und ich eigentlich damals auch gar nicht vorhatte Experimentalphysikerin zu werden. Aber meine Mama meinte ich hätte ja nichts zu verlieren und sie hatte natürlich Recht. Ich habe mich beworben und nach zwei Monaten habe ich tatsächlich die Nachricht bekommen, dass ich eine Runde weiter bin und zum Vorstellungsgespräch kommen kann. Zwei Wochen später gab es dann die Zusage.
Das war schon ein unglaublicher Meilenstein für mich - ich bin ein Risiko eingegangen und es hat sich tatsächlich ausgezahlt! Damit war auch die Möglichkeit, eventuell in New York studieren zu können, realistischer denn je. Aber bevor das Realität werden sollte, lagen noch zwei Jahre Masterstudium vor mir, in denen ich idealerweise perfekte Noten bekommen würde. Dies schien mir, Dank meiner Klausurenangst, leider ein eher weniger leichtes Spiel zu sein. Und abgesehen davon sind gute Noten ja meistens leider weniger Können als Strategie und Glück bei der Vorlesungs- sowie der Professorenauswahl. Denn egal wie hart man auch für etwas arbeitet - am Ende des Tages gibt es immer Dinge die man nicht in der Hand hat und dann gibts entweder Rücken- oder Gegenwind.
Gott sei Dank hatter ich sehr viel Rückenwind. Viele Klausuren, kurze Nächte, Kaffees, liebe Worte, helfende Gespräche, ein paar Tränen, unzählige Gebete und neun Bewerbungen später hatte ich sie dann in der Hand: Eine Bestätigungsemail von der NYU, dass ich für das Physik PhD Programm an der Graduate School for Arts and Sciences angenommen wurde.
Welcome To New York
Mein Traum war wahr geworden.
Und jetzt? Wie fühlt man sich?
Um ehrlich zu sein habe ich erstmal gar nichts gefühlt. Der ganze Bewerbungs- und Entscheidungsprozess war so ein emotionales Chaos, dass mir am Ende nichts mehr übrig blieb, um mich richtig zu freuen. Aber ich glaube diese Schockstarre ist nach so einem langen Prozess ganz normal. Die Freude kam dann Stück für Stück und wurde immer mehr. Jegliche Zweifel und Sorgen wurden mit jeder Woche mehr weggewischt und ich fühlte mich mehr als bereit mich in dieses neue Abendteuer zu stürzen.
Wenn ich anderen Menschen in dieser Zeit von meinen Vorhaben berichtete, hebten viele hervor, dass es sehr mutig sei diesen Schritt zu wagen. Mir erschienen meine Pläne nicht außerordentlich mutig - nachdem ich so lange darauf hingearbeitet hatte, war das einfach der nächste logische Schritt. Hinzu kam, dass bis jetzt alles so unfassbar gesegnet war und gut gelaufen ist, dass ich nicht die geringsten Bedenken hatte, dass etwas schief laufen könnte. Als ich mit meinen Eltern über diese Gedanken sprach meinte meine Mama: "Naja, was du tust ist schon mutig.". "Ja, Mut ist das Gute zu verlassen um etwas Besseres zu finden." sagte mein Papa. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Das Gute verlassen um etwas Besseres zu finden - ist das nicht genau das, was aktives Träumen ist? Und das war ich ja grade drauf und dran zu tun. Also vielleicht bin ich doch mutig. Vielleicht bedeutet mutig sein nicht immer Ängste zu überwinden. Vielleicht ist mutig sein manchmal auch Dinge aufzugeben ohne eine 100%ige Sicherheit zu haben, dass sich das am Ende auch lohnen wird.
Nach sechs Monaten war es dann so weit: "... uuuund Abhebmodus!!!", wie es die beiden Kinder sagen würden, die auf meinem Flug von Hamburg nach Zürich hinter mir saßen. Der Abschied am Flughafen lief deutlich besser als ich die Tage vorher dachte, ich hatte das Gefühl mich gut darauf eingestellt zu haben was ich alles zurücklasse würde. Ich war natürlich traurig, aber ich wusste alles würde gut werden und ich freute mich auf das, was vor mir lag. Schon ein paar Tage später wurde ich eines Besseren belehrt, aber davon später mehr.
Acht Stunden, einen Flughafensprint und eine tolle Flugzeugbekanntschaft später setzte das Flugzeug zur Landung an. Aus meinem Flugzeugfenster sah ich die New Yorker Skyline immer näher kommen und als die Räder die Landebahn berührten spielte "Welcome to New York" von Taylor Swift auf meinen AirPods.
Ankommen
Und dann war ich angekommen. Zumindest physisch. Das mentale Ankommen würde wohl noch eine Weile dauern. Ich hatte keine genaue Vorstellung davon, wie der Ankommensprozess verlaufen würde, aber ich war mir sicher, dass die Momente der Wehmut und Trauer noch eine Weile auf sich warten lassen würden. Aber es brauchte nur anderthalb Tage alleine und ein unglückliches Gespräch um meine Gedankenspirale zu aktivieren. Gott sei Dank ebbte das aber auch Dank Gebete, langer Telefonate mit Mama und Papa und guter Gespräche mit meinen Freunden verhältnismäßig schnell wieder ab.
In seinem Brief, den ein Freund von mir mir zum Abschied mitgegeben hatte, hat er geschrieben, dass es ganz normal ist, dass man sich in einer so großen Stadt anfangs alleine, einsam und überwältigt fühlt und dass es die Menschen sind, die diese Stadt dann zu einer Heimat machen. Glücklicherweise durfte diese Erfahrung für mich sehr bald beginnen. Sehr persönlich, durch meine Freunde, die ich schon hier in der Stadt und Umgebung hatte, meine Mitbewohnerin, unsere neuen Freunde, die wir während unserer Orientierungswoche kennengelernt haben, aber auch in kleinen, alltäglichen Begegnungen.
Viele meiner New Yorker Freunde haben berichtet, dass das romantisierte New York schnell von einer Mischung aus Urin- und Grasgeruch gepaart mit Großstadtlärm und anderen Dingen weggewischt wird. Auch wenn all dies auf jeden Fall zum New Yorker Alltag dazugehört, gibt es mindestens genauso viele schöne Momente, die all das wert sind. Deshalb hier eine Liste von kleinen New York Alltagsmomenten, mit denen mich die Stadt in diesen ersten Wochen umarmt hat:
- Ich wurde für einen Fashion Instagram Account interviewt (lowkey highkey dream come true ngl haha).
- Einer meiner Nachbarn hat $10 auf meine Laundry Karte geladen, weil meine Kreditkarten nicht funktionierten und wollte nichts dafür haben (Ich habe dreimal gefragt.). Seine Worte waren: "No, don't worry about it, that's my good deed for the day!".
- Der Brunnen in der Mitte unseres Apartmentkomplexes, der in der Nacht bunt leuchtet, wie bei den Wasserspielen in Planten un Blomen.
- Die East River Promenade direkt neben unserer Wohnung, die mich an die Landungsbrücken erinnert.
- Der Straßenarbeiter von meinem Apartmentkomplex, der mich nach der Uhrzeit gefragt hat und daraufhin meinte: "Thank you, where are you from?". "I'm from Germany!". "Oh nice, I like your accent - Have a good day!".
- Ein richtig netter Smalltalk während einer der ersten Male in denen ich alleine bei mir im Gebäude Fahrstuhl gefahren bin.
- Der Mann, der mit seiner Leinwand auf einer Wiese im Central Park stand und den Ausblick gemalt hat.
- Der Eisladen, der meine Bestellung aus Versehen zweimal zubereitet und mir die zweite Portion dann einfach geschenkt hat.
- Der Blick auf den See im Central Park, eingerahmt von grünen Bäumen und einer wunderschönen Skyline. Der Himmel ist strahlend blau und der See glatt mit nichts als kleinen Ruderbooten drauf. Als dann auf einmal Live Streichmusik ertönte, dachte ich kurz ich bin in eins von Berts Kreidemalbildern aus Mary Poppins gehüpft.
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Ich bin unglaublich dankbar, erleben zu dürfen, dass einer meiner Träume wahr geworden ist und ich bin sehr gespannt darauf, was mich die nächsten Jahre erwartet. Auch wenn ich viel dafür gearbeitet habe, um durch die offenen Türen gehen zu können durch die mein Weg führte, waren es doch die vielen kleinen Situationen, in denen sich Dinge außerhalb meiner Kontrolle zu meinen Gunsten entwickelt haben, die den entscheidenen Unterschied gemacht haben. Die es mir ermöglicht haben, weiter Richtung Traum zu laufen und mich haben wissen lassen, dass egal ob am Ende nun das passiert, was ich mir wünsche oder etwas anderes, noch Besseres, dass ich nie tiefer fallen kann als in Gottes Hand.
Ich möchte schließen mit einem Satz, den ich letztens in einem meiner alten Blogposts gefunden habe: